Wie viel Rassismus steckt in unserem Alltagsleben?

Written by on 13. März 2018

Nach der Aufregung um die Aussage des deutschen Politikers Horst Seehofer, der „Islam gehöre nicht zu Deutschland“ – wie stark ist die „politische Rechte“ in der Gesellschaft? Wie wichtig ist das Gedenkjahr 2018 (80 Jahre „Anschluss“ und November-Pogrome/gewaltsame Ausschreitungen)? Und: Die Ermordung des schwarzen US-Bürgerrechtlers Martin Luther King jährt sich heuer zum 50. Mal. Ist Amerika unter Präsident Trump rassistischer geworden? – Spannende Fragen an Jürgen Spitzmüller, Forscher am Institut für Sprachwissenschaft an der Uni Wien. Ebenfalls im Talk: Wolfgang Schütz, ehemaliger Rektor der Medizinischen Uni (MedUni) Wien, darüber, wie sich die MedUni den dunklen Seiten ihrer Vergangenheit stellt.

Was das Gedenkjahr betrifft, ortet der gebürtige Deutsche Jürgen Spitzmüller, „dass es durchaus viele Gruppen gibt, gerade hier in Wien, die sich um ein angemessenes Gedenken und auch sehr darum bemühen, dass die Vergangenheit besprochen und kritisch reflektiert wird. Auch angesichts neuerer populistischer Veränderungen weltweit. Es gibt aber sicher genügend Teile in der Gesellschaft, die das Gefühl haben – aus welchem Grund auch immer -, es sei genug mit der Bewältigung. Wobei man sich fragen muss, inwieweit diese Bewältigung überhaupt passiert ist“. Spitzmüller erachtet das Gedenkjahr 2018 auch insofern als wichtig, als wir „auf eine Zeit zusteuern, in der es niemanden mehr geben wird, der diese Zeit erlebt hat“. Es sei bedeutsam, den letzten ZeitzeugInnen zuzuhören. – Das Forum gegen Antisemitismus hat kürzlich seinen Antisemitismusbericht veröffentlicht: Seit 2014 haben sich die Fälle fast verdoppelt. 2017 wurden insgesamt 503 antisemitische Vorfälle dokumentiert – ein Höchstwert. – Auch die Zahl der Verurteilungen wegen Wiederbetätigung und Verhetzung ist 2017 stark gestiegen, zeigt eine aktuelle Statistik des Justizministeriums. Es wurden 119 Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Verbotsgesetz ausgesprochen. (Zudem zeigt eine aktuelle Umfrage, dass jede/r vierte ÖsterreicherIn „einen starken Führer“ will.) – Noch deutlicher ist der Anstieg beim Thema „Verhetzung“. Da vervielfachten sich die Verurteilungen um mehr als „100 Prozent“. Zu „90 Prozent“ finden Delikte (Vorfälle) laut Justizministerium in den sozialen Netzwerken statt. – Zudem ist die Zahl der dem Verein ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) gemeldeten Fälle rassistischer Übergriffe auf den neuen Höchststand von 1.162 im Jahr 2017 gestiegen. Den größten Anteil (44 Prozent) der österreichweiten Fälle machten Hass-Postings und Kommentare im Internet aus, die sich vor allem gegen Muslime und Geflüchtete richten oder antisemitisch sind. – Mit Jürgen Spitzmüller sprechen wir auch über das brisante Thema „Hasspostings“.

Was das Erstarken der rechten Parteien/Bewegungen in Europa betrifft, sieht Spitzmüller die bessere Handhabung des „Medienspiels“ durch diese. „Die Agenda wird von den rechtspopulistischen Parteien gesetzt, u. a. mit gezielten Provokationen. Man lehnt sich aus dem Fenster, provoziert einen Skandal, man ist in den Medien ein paar Tage lang und dann rudert man so weit zurück, wie es halt nötig ist. Und dieses Spiel beherrschen die rechten Parteien besser als die anderen und man hat das Gefühl, dass die anderen Parteien hier hinterher hecheln“, so Spitzmüller. Rechte Parteien würden mit einfachen Lösungen zu komplexen (schwierigen) gesellschaftlichen Problemen punkten: „Es ist nicht befriedigend für Menschen, die Sorgen haben, mit komplexen Antworten konfrontiert zu werden. Weil man natürlich auch eine Lösung will, die funktioniert, schnell geht und die man versteht. Das ist etwas, was diese rechtspopulistischen Botschaften für diese Leute oft leisten“.

In der Sendung sprechen wir zudem über das heurige Jubiläum „70 Jahre Menschenrechte“ und den südafrikanischen Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, der gegen die „Rassentrennung“ kämpfte und heuer 100 Jahre alt geworden wäre (Anm.: Mandelas Ex-Frau Winnie, als Politikerin in Südafrika tätig, starb heuer im Alter von 81 Jahren. – In Südafrika stehen im Frühjahr 2019 Wahlen an). Wir widmen uns aber auch dem 50. Todestag von Martin Luther King, der sich im April 2018 jährt. Sind die USA unter Donald Trump rassistischer geworden? Spitzmüller: „Ganz zweifellos ist das Rassismus-Problem in den USA virulent. Ich bin nicht sicher, ob es zugenommen hat. Mein Eindruck ist, dass es sehr viel sichtbarer geworden ist unter diesem Präsidenten, der das auch nicht zurückweist. Menschen, die rassistische Einstellungen haben, trauen sich eher wieder in die Öffentlichkeit und tun dort Dinge, die sie sonst im Verborgenen getan haben“, meint Spitzmüller. „Das hat auch damit zu tun, dass die Regierung dem nicht entgegentritt.“ – Wie Jürgen Spitzmüller den Alltagsrassismus in Österreich einschätzt, hören Sie in der Sendung. – Mit Wolfgang Schütz, dem früheren Rektor der MedUni Wien, treffen wir uns auf einer Tagung, bei der die dunklen Kapitel der Einrichtung in der NS-Zeit beleuchtet werden sollen. Was dabei geboten wird, erzählt Schütz im Talk. Zudem sprechen wir mit ihm über sein Buch „Eintritt nur nach Aufruf“, in dem er vor dem möglichen Zusammenbruch des österreichischen Gesundheitssystems im Jahr 2030 warnt – wir fragen ihn, woran es im heimischen Gesundheitssektor krankt. – Außerdem treffen wir Rayouf Alhumedhi, die weltweit ein Kopftuch-Emoji durchgesetzt hat und dafür vom „Times Magazin“ zu einem der einflussreichsten Teenager des Jahres 2017 gewählt worden ist. Bei einem Stadtspaziergang durch Wien sprechen wir über Alltagsrassismus in Österreich und wie sie Proteste gegen das Kopftuch im Iran sieht.

Der Podcast zum Nachhören (Sendung vom 13.3.18, 10 Uhr):

Credit: Pixabay


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